Kreativ unterwegs in meiner zweiten Heimat

Wo ist Heimat?

Wo Heimat ist, kann ich für mich nicht eindeutig beantworten:

  • In der Schweiz, wo ich geboren bin und bis zum 26. Lebensjahr gelebt habe?
  • In Italien, wo ich mit meinem Mann in der Nähe von Rom lebe und wo unsere Tochter auf die Welt gekommen ist?
  • Oder sogar in der Malerei, wo ich mich lebendig fühle?

Eine Welt, die mich verzaubert.

Ich erinnere mich gut und muss stets lachen: Als ich das erste Mal gekritzelt und einen Stift in der Hand gehalten hatte, spürte ich, dass da eine Welt entsteht, die mich verzaubern wird. Farbe und Form sind mein Medium, meine bevorzugte Sprache geblieben. Der Weg damit umzugehen, ist immer noch breit und offen. Nach der Hälfte meines Kunstgeschichtsstudiums an der Uni Bern stand fest: Ich will weiterkritzeln, Material in den Händen halten und selbst neue Bilder entwerfen. So besuchte ich die Schule für Gestaltung, damals Kunstgewerbeschule, im schönen Luzern und schloss diese in der Zeichenlehrerabteilung ab.

Heimat finden in anderen Menschen.

Gibt es Heimat in jedem Menschen, dem wir begegnen? Bestimmt. Heimat ist ebenfalls in allem, was in der Malferienwoche auf dem Blatt des Gegenübers entsteht. Denn durch seine Augen hindurch sehe ich seine Wirklichkeit, die genauso richtig ist wie meine! Und bei den gemeinsamen Besprechungen sehen wir durch aller Augen. Das ist eine einzigartige und spannende Synthese. Bei jeder Reise entsteht aus der Gruppe der Teilnehmenden ein eigenes «Individuum». Dies habe ich in den Jahren meines Begleitens und Unterrichtens festgestellt. Eigentlich müsste es doch unzählige Wiederholungen geben, aber nein, nie ist zweimal dieselbe Sichtweise da. Vielleicht auch deshalb, weil die italienische Landschaft dafür sorgt, dass so vielfältige Situationen und Lebensgefühle entstehen.

Pflanzen wachsen abwechslungsreich in Hunderten von Formen. Beim Beobachten, Zeichnen und Malen erleben wir, dass auch sie Individuen sind. Kontraste sehen – von heiter leuchtend bis schwermütig dunkel. Diese anschliessend im eigenen Rhythmus zu Papier bringen. Zeichnen ist meditieren.

Ab und zu machen wir alle zusammen eine lockere Übung, ausgelassen und wild darf der Strich sich auf dem Blatt bewegen. Manchmal verbinden wir uns parallel dazu mit einem Motiv, das uns anzieht und das wir nicht verstehen. Auch ein Motiv, das uns nicht gefällt, kann spannend und voller Überraschungen sein. Künstler*innen sind insbesondere Menschen, die immer hinschauen, wenn etwas fremd und unklar ist!

Was bedeutet kreativ unterwegs sein?

Kreativ für mich ist so etwas wie «locker» und offen, alles anschauen und ausprobieren. Einfach probieren, das braucht Mut. Ja, richtig, sonst braucht es keine Vorkenntnisse! Immer neu probieren, ohne Druck malen. Sicherlich wird das Bild nie wie die Natur. Es wird jedoch eine neue Natur entstehen, eben eine Parallelnatur! Und unterwegs sind wir in guter Gesellschaft, mit dem Blau, dem Gelb und dem vitalen Rot. Diese Farben genügen, um das ganze Farbspektrum zu durchwandern. Wir lernen damit sowohl das lichterfüllte Grelle zu malen und ebenfalls die vielen schattigen, gebrochenen Farben abzubilden. Es entsteht Freude und Magie. Wir spielen mit den Farben wie Kinder. Die Zeit bleibt stehen. Alles ist vergessen. Nur im Jetzt: schauen, lauschen und einfach machen. Das ist noch erholsamer als Nichtstun!

Kreativität ist auch mit Klima verbunden. In Italien ist das «Klima» günstig. Das Klima bestimmt die Menschen von innen heraus. Das Klima mit seinen grossen Sprüngen von kalt zu warm zu sehr heiss macht auch die Italiener*innen erfinderisch. Zu allen Zeiten bauten sie schlaue architektonische Werke, um sich zu schützen. Dabei waren sie stets bedacht, alles schön zu gestalten, im Bau und im Garten. Aufmerksam verweilen wir auf den Ruinen der altrömischen Hochkultur, bei den Fresken der Renaissancemaler*innen, auf den Klippen und am Sandstrand. Dann, auch nach einer durchaus italienische «klimatischen» Regel, machen wir Folgendes: „fare una pausa, con un cafè, un’ aperitivo, un gelato!“ («Eine Pause machen mit einem Kaffee, einem Aperitif, einem Eis»)

In diesem farbigen Italien wollen wir alle Heimat finden!

Geschrieben von Cornelia Stauffer